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Die Zeit ist Reif: Der Parametrismus als Antwort  - am Beispiel Parametrischer Turmkonzepte
Patrik Schumacher, London 2011
Published in: AIThesen, Medium der AIT-Architktur Salons, Supplement von AIT – Architektur Innenarchitektur Technischer Ausbau, Stuttgart, Dezember 2011

 

Der Parametrismus ist die Antwort der Architektur auf die Dynamik und Komplexität der post-fordistischen, vernetzten Gesellschaft. Dieser neue Stil findet weltweit mehr und mehr Anhänger. Wie alle grossen, vormaligen Architekturstile  erhebt er den Anspruch aufs universale Relevanz, in Bezug auf die Gesammtheit der gebauten Umwelt.  Allerdings scheint die Hochhaustypologie in der längst vergangenen Ära des Fordismus festzustecken und sich dem notwendigen Komplexitätszuwachs bisher zu verweigern. Hochhäuser werden noch immer primär von quantitativen Kriterien bestimmt. Ihr Volumen wird durch monotone Extrusion geschaffen und der Innenraum ist nichts weiter als die Multiplikation identischer Geschosse. Moderne Hochäuser sind vertikale Sackgassen, die normalerweise vom Boden durch einen Sockel abgetrennt sind. All dies ist so aus guten wirtschaftlichen Gründen, dennoch gibt es berechtigte Gründe, warum es an der Zeit sein könnte, die Hochhaustypologie neu anzugehen und zwar bewaffnet mit den neuen Konzepten und Ambitionen des Parametrismus. Zaha Hadid Architects  - wie in der Tat der Großteil der zeitgenössischen Avantgarde – hat sich lange gegen das Entwerfen von Hochhäuser gewehrt. Wann immer wir in die Höhe gehen mussten, bevorzugten wir die Scheibe mit ihrer lateralen Ausdehnung, die uns mehr Spielraum für räumliche Manipulationen gibt. Im Jahr 1994 haben wir schließlich erstmals ein Hochhaus entworfen -  für ein Grossprojekt in Manhattans 42. Straße. Wir vermieden Extrusionen, Wiederholungen und hermetische Vorhangfassaden, stattdessen schlugen wir einen vertikalen Stapel aus ineinander verschränkten Blöcken vor, die durch unterschiedliche Oberflächenstrukturen und Zwischenräume differenziert wurden. Im Inneren setzen wir auf John Portmanns fantastisches Konzept hoher Atrien, die im Hochhaus emporwachsen. (John Portmanns Erfindung ist die einzige beachtenswerte Innovation in Bezug auf die Organisation von Hochhäusern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.) Rückblickend erscheint unser „42nd Street“ Hochhaus-Entwurf sowohl prophetisch als auch primitiv. Es war das erste Hochhaus-Design, das eine radikale Differenzierung des Turms entlang der vertikalen Achse vorsah und zwar sowohl auf der Außen- wie auf der Innenseite. Portmanns Atrium-Konzept wurde zu einem rhythmisch bespielten Navigationsraum radikalisiert, der die Fahrt nach oben interessant gestaltete und Orientierung bot. Unser Entwurf war primitiv (nach heutigen Standards) im Bezug auf seinen Collage-Modus der Differenzierung durch bloße Gegenüberstellungen. Zudem war die Einbindung mit dem städtischen Umfeld nicht entwickelt. Wir haben diesen Wettbewerb verloren, und erst in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 unternahmen wir im Zusammenhang des internationalen Diskurses über ein neues Hochhaus am Ground Zero einen Neuanfang hinsichtlich der Untersuchungen zum Potential der Hochhaus-Typologie.

Unser Entwurf für einen neuen Ground-Zero-Turm sah ein Gebäude vor, das als ein Bündel mehrerer, schlanker Röhren konzipiert war, wobei wir die einzelnen Röhren des Bündels aus horizontalen Linien, die wir am Standort identifiziert hatten, entwickelt und in die Vertikale umgelenkt hatten.  Diese Kompositionsmethode war geeignet den Turm mit der komplexen Geometrie und den Bewegungsflüssen des städtischen Umfeldes zu verbinden. Die Variation im Zusammenspiel der Röhren erzeugte eine Differenzierung des Hochhauses entlang der vertikalen Achse. Der modulierte Raum zwischen den Röhren wurde als Navigationsraum genutzt. Einige Jahre später wurde das Bündel-Konzept in unserem Entwurf für die „Dancing Towers“ in Dubai erneut untersucht. Das Projekt sollte den Mittelpunkt einer Reihe von konzentrischen Ringen aus Hochhäusern an Dubais Business Bay markieren. Hier interpretierten wir die geforderte Mischnutzung mit Hilfe von drei Türmen (einem Bürohochhaus, einem Hotelturm und einem Wohnturm), die sich auf verschiedene Weise aneinander annähern und voneinander entfernen, zusammentreffen und sich trennen, um gleichzeitig eine „Ground“-Lobby sowie eine Sky-Lobby oberhalb des Mittelpunkts gemeinsam zu nutzen. Wiederum bestimmen Atrien dynamische Navigationsräume im Inneren. Dieses Bündel breitet sich in unterschiedliche Richtungen am Boden aus und schafft zusätzliche Flächen (für Lobbys und Einzelhandelsbereiche) sowie Verbindungen zum Kontext. Während dieses ehrgeizigste unserer Hochhausprojekte aufgeschoben wurde, wird unser erster gebauter Turm in diesem Jahr fertiggestellt: die Hauptverwaltung einer großen Reederei im Hafen von Marseilles.
ZHA realisiert derzeit weitere Türme in Mailand, Barcelona, Bilbao, Bratislava, Beijing und Singapur. Diese ersten Beispiele beginnen zu signalisieren, dass der Hochhaustypologie eine neue Vitalität gegeben werden kann. Von besonderem Interesse für uns ist dabei auch die umgekehrte Wirkung: Die technisch und ökonomisch anspruchsvollen Bauaufgabe Hochhaus wirkt disziplinierend sowohl auf unseren Stilanspruch als auch auf unsere parametrische Gestaltungsmethode, die wir somit weiterentwickeln und verfeinern.  Hochhäuser erfordern ein viel höheres Maß an Präzision als horizontal ausgedehnte Gebäude, sowie eine engere Einbeziehung aller Subsysteme. Dies verschiebt den Schwerpunkt weg von einer freien, Spielerischen Entfaltung der räumlichen Formen hin zu einem ausgeprägten Sinn für kompakte, übergreifende Artikulation. Das bedeutet eine strenge, geometrische Koordination aller Subsysteme und Komponenten, allerdings ohne in die Monotonie des Modernismus zurückzufallen.

Parallel zu den oben erwähnten, beauftragten Hochhäusern hat Zaha Hadid Architects ein Forschungsprojekt initiiert, die Parametric Proto-tower Research, die von unserer Computational Design Forschungsgruppe „CODE“ betrieben wird1. Gleichzeitig wird eine verwandte Hochhaus-Forschungsarbeit am AA Design Research Lab im Rahmen der allgemeinen Forschungsagenda  Proto-Design durchgeführt. Diese Forschungsagenda geht davon aus, dass es nicht länger Aufgabe der Architektur ist, individuelle Gebäude als Reaktion auf einzigartige Grundstücke und Vorgaben zu gestalten. Was stattdessen gefordert wird, ist die Konzeption grundsätzlich anpassungsfähiger, parametrischer Proto-Typen, die allgemeine topologische Schemata bei vielen parametrisch spezifizierbaren Standortbedingungen und Vorgaben intelligent variieren. Diese Proto-Designs können verglichen werden mit der kleinen Zahl von grundlegenden Körperbauplänen, die der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit biologischer Lebensformen, die sich in der Evolution des Lebens herausgebildet haben, zugrundeliegen – jede innerhalb einer komplementären Umweltnische.
Der prinzipielle Körperbauplan des Proto-Turms umfasst die folgenden 4 wesentlichen Subsysteme:

Die Unterscheidung dieser Subsysteme gliedert die Gestaltungsforschung zum Proto-Turm. Es ist eines der grundlegenden Axiome dieses Forschungsprojekts, dass diese funktional definierten Subsysteme zu Beginn klar unterschieden werden. Der gesamte Proto-Turm ist ein komplexes Multi-system-Gebilde, wobei zunächst jedes Subsystem nach seiner je eigenen Logik intern differenziert werden muss, und zwar sowohl entlang der vertikalen Achse, von Innen nach Aussen, oder auch entlang seines Umfangs. Diese Forderung nach Differenzierung gilt für alle Subsysteme. Wir wollen eine vielschichtige Komplexität mit einem hohen Grad an gesetzmäßiger Differenzierung innerhalb jedes Subsystems aufbauen und dann mittels spezifischer Korrelationen zwischen den verschiedenen Subsystemen das gesamte Proto-System bilden. Jede interne Differenzierung der Subsysteme reagiert auch jeweils auf die Differenzierungen innerhalb der anderen Subsysteme. Zum Beispiel steht die Differenzierung des Tragwerks in Wechselbeziehung mit der Differenzierung der Hülle, und die Differenzierung des Systems der Geschossplatten steht in Wechselbeziehung mit der Differezierung des Navigationsystems mit seinen Lufträumen. Gleichzeitig werden Korrelationen zwischen Tragsystem und Navigationssystem definiert. So entsteht eine Kaskade oder auch ein Netzwerk der Beziehungen und Anverwandlungen. Anfangs wird jedes System begründet und differenziert gemäß seiner spezifischen Logik. Zum Beispiel wird das strukturelle Skelett entlang seiner vertikalen Achse differenziert, gemäß der differentiellen Kräfteverteilung, die aus den vertikalen Eigengewichten sowie den horizontalen Windlasten resultiert. Die Hülle wird vorrangig entlang ihres Umfangs differenziert, gemäß ihrer differentiellen Exponiertheit gegenüber Umweltfaktoren wie Sonnenlicht, Temperatur, Wind, Regen usw. Allerdings wird die jeweilige innere Differenzierung des Subsystems dann im weiteren überformt von ihrer Anpassung (Korrelation) an die Differenzierungen der anderen Subsysteme. Auf diese Weise akzentuieren die Subsysteme gegenseitig ihre Differenzierung. Sie werden zu gegenseitigen Abbildungen2 voneinander. Der Begriff der Abbilding greift hier in seiner Doppeldeutigkeit als Wiederspiegelung und als mathematische Funktion: Die mathematische Abbilding soll hier zu einer anschaulichen Abbilding werden. Das ist ein wesentlicher Programmpunkt des Parametrismus.
Der parametrische Turm ist hoch komplex differenziert. Diese Komplexität/Differenzierung ist regelbestimmt.Sie basiert auf einer systematischen Reihe gesetzmäßiger Korrelationen, die zwischen den differenzierten Elementen und Subsystemen definiert sind. Diese gesetzmäßigen Wechselbeziehungen stellen einen sichtbaren Zusammenhang und eine Einheit über die verschiedenen Systeme (wieder) her. Es ist das Gefühl der regelbestimmten Komplexität, die dieses Werk angleicht an organische Systeme, bei denen alle Formen das Ergebnis von gesetzmäßig interagierenden Kräften sind. Genau wie organische Systeme können parametrische Kompositionen nicht einfach in unabhängige Teile zerlegt werden – ein bedeutender Differenzpunkt im Vergleich zu dem modernen Beharren auf die scharfe Trennung und gegenseitige Gleichgültigkeit der Teile.
Die Grenze der Rationalität der Modernismus wird deutlich wenn wir die moderne Typologie der Tragsysteme analysieren. Mit zunehmender Höhe und Schlankheit der Türme muss das Tragsystem auf die erhöhten Stabilitätsanforderungen reagieren. Die moderne Tragwerkslehre postuliert eine geordneten Reihe struktureller Systeme, in Abhängigkeit von den Schlüsselparametern Höhe und Schlankheit. Die Serie ist wie folgt geordnet: Auf der untersten Anforderungsstufe wird Stabilität mittels eines zentralen Kerns garantiert, dann mittels eines Kerns im Verbund mit Auslegerstützen und schließlich mittels einer tragenden Röhre. Das Problem ist hier, dass die a priori Annahme eines homogenen, repetitiven Systems unhinterfragt vorausgesetzt ist. Die Möglichkeit der graduellen,  internen Systemdifferenzierung bleibt von den Überlegungen ausgeschlossen. Kontinuierliche Systemdifferenzierung scheint im Zeitalter der Fordistischen Massenproduktion undenkbar zu sein. Laut der modernen Tragwerkslehre soll ein Hochhaus bis zu einem gewissen Schlankheitsgrad ohne Röhrenwirkung auskommen. Jenseits dieses Grenzwertes soll dann der gesammte Turm als Röhre konstruiert werden, durchgängig vom Boden bis zur Spitze. Dies ist offensichtlich unlogisch, irrational. Sobald wir den dogmatischen Ausschluss der Differenzierung überwinden, wird deutlich, dass die Röhrenwirkung nur am Boden des Hochhauses notwendig ist, wo die Momente am höchsten sind. Die angemessene, rationale Lösung der Aufabe ist daher eine Systemdifferenzierung der Turmstruktur entlang der vertikalen Achse. Das führt zu einem interessanten ‘Phasenwechsel’ im Tragsystem des Turms.
Die von mir entwickelte Hochhaus-Forschung – sowohl bei ZHA als auch im AA Design Research Lab – geht von einer sehr ungewöhnlichen, radikalen Prämisse aus: Das Tragsystem des Proto-hochhauses soll als Skelett (Netz) aus rein linearen Elementen gestaltet sein, dessen Stabilität nicht auf einen massiven Kern angewiesen ist. Es geht mir dabei darum das Tragsystem zunächst als reines Tragsystem in seiner Tragfunktion von allen anderen Systemen zu isolieren. Selbst die Geschosse/Böden sollten nicht als Teil des (Haupt)Tragsystems betrachtet werden. Sowohl das System der beziehbaren Flächen als auch das Verkehrs-/Navigationssystem sind damit von der Bürde befreit, zur Stabilität des Turms beitragen zu müssen. Der traditionelle Kern wird damit zur Disposition gestellt. Diess radikale These der Monofunktionalität der Systeme ist entscheidend, um das stereotype Turm-Schema aufzubrechen. Jedes System muss  zunächst seine eigene, einzigartige Prägung in Übereinstimmung mit seiner exklusiven Funktionverantwortlichkeit entwickeln. Das Skelett füllt das Volumen des Hochhauses mit seinem strukturellen Netz. Die Aufzüge, Treppenhäuser und Rolltreppen dürfen danach durch die Freiräume (Lufträume) ‚fliegen‘, die sie innerhalb des Skeletts vorfinden. Geschosse können in das Skelett ‚hineinfallen‘. Ihre Anordnung hängt ab von der gewünschten Raumkonfiguration. Das Geschoss-Systems ‚besiedelt‘ gleichsam das Skeletts nach seiner eigenen Logik, sowie in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des sich kontinuierlich verändernden Skelettzustands. Das Geschoss-System deutet also das Skelett als vorgegebenes Universum der Möglichkeiten mit spezifischen Vorgaben und Freiheitsgraden. Es passt sich anhand von je zu definierenden Deutungsregeln an das Skelett an. Diese Dialektik funktionaler Differenzierung und korrelativer Adaptation erzeugt sowohl mehr Unabhängigkeit als auch mehr gegenseitige Abhängigkeit. Es schafft auch ein neues, riesiges Universum an Möglichkeiten für kreative Hochhauslösungen. (Natürlich hat diese neue Freiheit seinen Preis: Wir opfern den wirtschaftlichen Vorteil der statischen Einbeziehung von Treppenschächten und Geschossen). Das Projekt ist konzipiert als eine Korrelationskaskade, die ursprünglich unabhängige Subsysteme vereinigt: Die Fassadenmuster-Artikulation korreliert mit dem Tragsystem, das wiederum mit der äußeren Form sowie mit den form-abgängigen Lufträumen im Inneren korreliert etc. Das Ergebnis ist eine tiefer angelegte Relationalität. Die funktionale Isolierung der Systeme erschliesst mehr Freiheitsgrade in allen Systemdimensionen. Der zweite Schritt der systeminternen, kontinuierlichen Differenzierung bringt sowohl technisch-funktionale Vorteile, als auch Artikulations- und Orientierungsvorteile (im Vergleich mit isotropen oder repetitiven Systemen).
Der dritte Schritt, die Methode der Korrelationen ist zum einen technisch-funktional bedingt, im Sinne einer wechselseitigen, technisch-funktionalen Anpassung der Systeme. Darüberhinaus geht es uns dabei aber auch wesentlich um das wechselseitige Verdeutlichen und Veranschaulichen der Systeme. Diese gegeneseitige Abbildung und Akzentuierung der Systeme dient der Orientierung im Gesammtsystem. Die Abbilungsbeziehungen bieten sichtbare Anhaltspunkte, die zu systematischen Schlussfolgerungen über unsichtbare oder noch nicht sichbare Aspekte des Gebäudes genutzt werden können. Das Gebilde ist hochgradig artikulert, mit einer hohen Informationsdichte.
Der Vorteil der Entflechtung von Konstruktion und Verkehrsströmen ist, dass die Verkehrssysteme nun zu einem Navigationssystem werden können, was visuelle Durchdringung und damit Orientierung bietet, statt in einer tragenden Röhre (Kern) eingeschlossen zu bleiben. Aufzüge können zu Panorama-aufzügen werden. Diese Möglichkeit der Navigation wird immer notwendiger, da der Turm nicht länger ein System der Wiederholung ist, bei dem alle Stockwerke das gleiche Programm bieten. Unsere Forschung unterstellt gemischt genutzte Hochhäuser, die viele unterschiedliche Veranstaltungsarten im gesamten Gebäude erlauben. Navigationsräume sind erforderlich, um diese Vielfalt für den Blick möglicher Nutzer zugänglich zu machen.
Eine Definition der ‚Ordnung‘ für moderne Architektur: Sehr allgemein ausgedrückt, kann Ordnung als das Gegenteil von willkürlicher Beliebigkeit verstanden werden. Diese abstrakt-negative Definition ist mein Ausgangspunkt. Während traditionelle Vorstellungen von Ordnung von einer handvoll vorgefasster, idealer Muster oder Schema ausgingen, zum Beispiel die Ordnung, die durch Raster, Proportionen und Symmetrien vorgegeben wird, sind zeitgenössische Vorstellungen von Ordnung viel offener im Hinblick auf den Mechanismus, der Beliebigkeit einschränken könnte. Diese Mechanismen sind eher bestimmt vom Aufbau interner Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Teilen als von den Abhängigkeiten der Teile von externen Schemata.
Sowohl Klassische als auch moderne Architektur beschränken sich auf Kompositionen, die eine Handvoll vorgefasster, identifizierbarer Teile - geometrische Figuren wie Rechtecke/Würfel, Kreise/Zylinder/Halbkugeln und Dreiecke/Prismen/Pyramiden – nach Maßgabe einfacher Beziehungen/Verfahren anordnen. Klassische Architektur nutzt Wiederholung, Symmetrie und Proportion. Die Moderne nutzt weniger Beschränkungen, ermöglicht Asymmetrie sowie gestreckte Proportionen ohne proportionale Koordination. Die Moderne erlaubt eine zunehmende Heterogenität innerhalb großer architektonischer Konfigurationen wie institutionellen Gebäuden oder Ensembles. Normalerweise werden orthogonale Beziehungen durchweg eingehalten sowohl in der globalen Konfiguration als auch in all ihren Teilen und Details. Modernes Design funktioniert durch die Trennung von Teilen und indem es zulässt, dass jedes Teil eine unabhängige Morphologie in Übereinstimmung mit seinen funktionalen Erfordernissen entwickelt. Innerhalb jedes abgetrennten Einzelteils der Komposition wird Wiederholung angewendet. Um diesen Kompositionen ein gewisses Gefühl von umfassender Einheit zu geben, nutzt die Moderne das vage Konzept des dynamischen Geleichgewichts.
Moderne Kompositionen sind offener/unvollständiger als klassische Kompositionen und insgesamt freier. In diesem Sinne können wir sagen, dass moderne Kompositionen weniger geordnet sind im Vergleich zu klassischen Kompositionen. Dieser Kurvenverlauf der abnehmenden Ordnung durch die Beseitigung von Einschränkungen setzt sich fort mit der Postmoderne und dem Dekonstruktivismus. Dekonstruktivismus beseitigt die Voraussetzung der Orthogonalität, und erlaubt neue Schritte – wie das Überlappen geometrischer Figuren und die gegenseitige Durchdringung von unterschiedlichen Rastern – die beide das Repertoire ausweiten und die Ordnung und damit die Vorhersehbarkeit von Design verringern. Mit Vorhersehbarkeit meinen wir hier zwei miteinander verbundene Aspekte: erstens die Vorhersehbarkeit einer bestimmten Entwurfsentscheidung innerhalb des Entwurfsprozesses einerseits (Vorhersehbarkeit des Designverlaufs) und die Fähigkeit zu antizipieren (während man sich durch das Gebäude bewegt), wie sich das Gebäude fortsetzt (Vorhersehbarkeit der Konfiguration). Die Vorhersehbarkeit der Konfiguration beruht auf dem Grad der Artikulation des architektonischen Gebildes.

Wir können den folgenden historischen Verlauf in der Stilgeschichte der Architektur (Sukzession der Architekturestile) beobachten: die sukzessive Ausweitung des Gestaltungsrepertoires, die ein neuer Stil jeweils errungen hatte, musste jeweils mit einem Rückgang an Ordnung und damit Navigierbarkeit in der gebauten Umwelt bezahlt werden. Dadurch ergibt sich hier die Frage, ob dieser Kompromiss unumgänglich ist oder ob es möglich ist, die weiterhin notwendigen Zunahmen in der Vielfalt des architektonischen Gestaltungsrepertoires mit einer gleichzeitigen Zunahme an Ordnung zu verbinden. Die hier vorgestellte These besagt, dass der Parametrismus - grundsätzlich – gerüstet ist, diesen simultanen Vormarsch von Vielseitigkeit und Ordnung zu vollbringen. Der Bezug auf Verständlichkeit/Navigierbarkeit ist notwendig, um das Konzept der Ordnung an eine funktionale Leistung zu binden. Allerdings kompliziert dies die Sache. Es verwandelt das Konzept der Ordnung von einer Kategorie, die lediglich eine objektive Eigenschaft einer architektonischen Konfiguration beschreibt, in eine Kategorie, die eine Beziehung beschreibt, die zwischen einem architektonischen Artefakt und einem (sozialisierten) Nutzer/Betrachter besteht, der dieses Artefakt (Konfiguration) wahrnimmt und (hoffentlich) begreift. Das zu empfehlende Konzept der Ordnung und Ordnungsgrade erhält dadurch einen objektiven und einen subjektiven Aspekt. Der objektive Aspekt ist (der Grad der) Organisation innerhalb einer Konfiguration. Der subjektive Aspekt ist (der Grad der) Artikulation innerhalb einer organisierten Konfiguration, d.h. inwieweit die Organisation von einer navigierenden/betrachtenden Person wahrgenommen und verstanden werden kann. Im gleichen Maß, in dem Systemdifferenzierungen artikuliert und ablesbar werden, trägt ihre differenzierte Organisation zur Erstellung einer architektonischen Ordnung bei. Zum Beispiel liefert die visuelle Differenzierung des Skeletts Hinweise darauf, ob man sich innerhalb eines Gebäudes relativ weit oben oder unten befindet, oder die sichtbare Differenzierung des Sonnenschutzes der Fassade entlang der Turmumfangs informiert über Himmelsrichtungen auch bei bedecktem Wetter oder bei Nacht.  Wiederum: in dem Maße, in dem die Korrelation zwischen diesen beiden Subsystemen des Turms ablesbar ist, d.h. in dem Maße, in dem die Skelettdifferenzierung durch die Fassade scheint oder darüber hinaus durch die Fassade betont und offengelegt wird, in diesem Maße wird die Organisation zur Ordnung überhöht. In diesem Fall, werden die Subsysteme, die an den vorgegebenen Korrelationen beteiligt sind, tatsächlich zu gegenseitigen Abbildungen. Ein parametrischer Entwurf verwandelt einen mehr oder weniger willkürlichen Anfang sukzessive in eine anspruchsvolle, komplexe Ordnung, die mit dem Fortschritt des Entwurfs mehr und mehr den Anschein der Notwendigkeit für den Designer entstehen lässt. Insofern dieses zunehmend organisatorisch gestraffte Netz der Korrelationen artikuliert und damit sichtbar ist, entsteht die Wirkung einer ehrfurchteinflößenden Eleganz3.


Bei dieser Gruppe handelt es sich eher um eine wahre Forschergruppe als um eine Arbeitsgruppe aus Spezialisten. Die wesentlichen Mitwirkenden bei CODE sind u.a.: Nils Fischer, Shajay Bhooshan, Danilo Arsic, Suryansh Chandra, Goswin Rothenthal, Michael Grau, Mostafa El Sayed. Die Turm-Forschung wurde von Danilo Arsic betrieben.

2 

Siehe: Patrik Schumacher, Arguing for Elegance, in: Elegance, AD (Architectural Design), January/February 2007, Herausgeber: Helen Castle, Gastherausgeber: Ali Rahim & Hina Jamelle



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